Die Art, wie wir arbeiten, verändert sich. Anwesenheitspflicht und Präsenzzeiten haben ausgedient. Zwei Talente aus der Region erzählen, wie sie New Work leben.
Text: Robin Schwarz, Fotos: Maria Mykhailenko
Beim Schlagwort New Work denkt man zuerst an Homeoffice und CoworkingSpaces. Doch New Work ist eine Denkweise und geht weit über das ortsunabhängige Arbeiten hinaus. Kreative Arbeitszeitmodelle, veränderte Strukturen und Hierarchien, bessere Vereinbarkeit von Beruf und Privatleben sind nur einige Beispiele.
Auch die Art, wie wir Jobs und Mitarbeitende finden, wandelt sich. Dafür hat die Standortförderung Limmatstadt mit «Limmatstadt Talents» eine stetig wachsende Online-Community für Firmen und Talente aus dem Limmattal gegründet. Zwei «Talents», die über die Community ihr Netzwerk erweitern, geben einen Einblick, was New Work für sie bedeutet.
Carolin Riede, Landschaftsarchitektin
Sie habe ursprünglich eine Weile mit ihrem Job gerungen, «bis ich gemerkt habe, es hat nichts mit meiner Arbeit zu tun, dass ich unzufrieden bin, sondern mit den Arbeitsbedingungen». Mittlerweile führt Carolin Riede ihr eigenes Landschaftsarchitekturbüro mit mehreren Teilzeitangestellten. Die meisten Mitarbeitenden haben daneben noch andere Projekte. Mit dem eigenen Unternehmen entstand die Frage: «Will ich es so machen wie meine bisherigen Chefs, die ich immer kritisiert habe?» Nein. Bei ihr laufen die Dinge anders.
Ob man ins Dietiker Büro kommen oder woanders arbeiten will, überlässt sie ihrem Team – abgesehen von gemeinsamen Workshops. «New Work» heisst aber nicht nur einfach «Remote Work». «New Work ist wie ein Büffet, an dem man sich aussuchen kann, was man braucht», sagt Riede. Es bedeutet für sie auch, dass Menschen in dem Bereich arbeiten, in dem sie stark sind. So muss sie in ihrem Unternehmen nicht für jede Tätigkeit fix eine Person haben, sondern kann projektabhängig weitere Talente dazuholen. Dabei helfen digitale Plattformen wie «Limmatstadt Talents».
Fliessende Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit
Bedenken, dass mit New Work die Grenzen zwischen Arbeit und Freizeit zerfliessen, versteht sie, aber für sie ist das Einstellungssache. «Wir kennen es alle, dass wir die Arbeit mit nach Hause nehmen. Warum nicht umgekehrt?» Sie erwarte von ihren Angestellten nicht, dass sie ständig präsent seien. Das herkömmliche Arbeitszeitmodell führe überall zu toten Stunden, besonders wenn es, wie üblich bei Projekten, mal stressige, mal lockere Zeiten gebe.
Auch die gefürchtete ständige Erreichbarkeit ist bei ihr kein Thema: Wer mal nicht ans Telefon gehen kann oder im Feierabend ist, läuft nicht Gefahr, als «Quiet Quitter» zu gelten. Bald startet sie mit ihrem Team eine neue Initiative: «Schaut, was ihr braucht, um effizienter arbeiten zu können», sagt sie ihrem Team, «und wir versuchen, die Strukturen dafür zu schaffen.»
Bei Carolin Riede ist es nicht einfach das Resultat einer ideologischen Einstellung, die ihr Umdenken fordert und fördert: «Was ich tue, tue ich in erster Linie für mich. Das Konzept ist für mich klar umsatzrelevant», sagt sie. Es funktioniere finanziell sehr gut. Und: Riede ist selbst vor eineinhalb Jahren Mutter geworden, ihre Art der Arbeit komme der Vereinbarkeit von Familie und Beruf sehr entgegen. «Dieses Thema ist mir sehr wichtig, gerade als Frau in einem männerdominierten Feld.» Ihr Fazit: «So sind die Menschen glücklicher.»
Konrad Weber, Strategieberater und Coach
«Zu Beginn der Corona-Pandemie habe ich noch Strichli an die Wand gemacht, wie viele Tage ich schon im Homeoffice bin», sagt Konrad Weber und lacht. Heute hat er gar keinen klassischen Arbeitstag mehr. Er berät als Coach und Strategieberater Unternehmen beim Prozess der digitalen Transformation. Davor war er neun Jahre lang Digitalstratege beim SRF, und sein Name ist in der Branche wohlbekannt.
Als er sich im August 2020 dazu entschlossen habe, in die Selbstständigkeit zu gehen, «hat das nach aussen logisch und von langer Hand geplant ausgesehen», so auch die Reaktionen aus seinem beruflichen Umfeld. Aber eigentlich war es anders. «Ich spürte schon einige Monate zuvor, dass sich beruflich etwas ändern muss», sagt Weber, «aber ob das auch funktionieren wird, wusste ich nicht.» Weber lächelt. Tage voller Meetings und das Bearbeiten immer gleicher Probleme – «das hat mir das innere Feuer genommen», sagt Konrad Weber, gerade ihm, der neben der Arbeit unermüdlich an neue Projekte gedachte habe.
Im Hinblick auf den Fachkräftemangel ist Konrad Weber überzeugt, dass längerfristig neue Arbeitsmodelle gefunden werden müssen. «Dazu gehört aus meiner Sicht auch das Poolen von Expertise und die Mitarbeit auf Zeit.» Eine digitale Talent-Plattform wie «Limmatstadt Talents» sei dafür der perfekte Dreh- und Angelpunkt.
Anwesenheit ist nicht gleich Produktivität
Seine Arbeitstage sehen mittlerweile ganz anders aus. «Ich schätze es sehr, dass es keine Routine gibt.» Die Erkenntnis, dass von ihm nicht mehr erwartet wird, jeden Tag acht Stunden im Büro absitzen zu müssen, bezeichnet Weber als «Augenöffner». Eigentlich absurd sei es, dass die reine Anwesenheit als Produktivitätsmerkmal gelte. «Da kann man umdenken.»
Er weiss, dass sein Modell der Selbstständigkeit nicht für alle Menschen gelten kann. «Ich bin mir bewusst, dass ich in einer privilegierten Position bin», sagt Weber. «Das funktioniert nur, wenn man klassisches Brainwork macht und nicht auf die Zeiten anderer Menschen angewiesen ist oder physisch präsent sein muss. Das ist nur ein ganz kleiner Prozentsatz an Menschen, der sich das erlauben kann.» Ausserdem müsse man wissen, wie viel man genau arbeiten möchte, denn «nach oben ist das ja immer offen». Darum: «Du musst Freude an der Arbeit haben, dieses innere Feuer, aber du darfst auch nicht selbstausbeuterisch sein. Die Selbstständigkeit ist kein 200-Meter-Sprint.»
Der Text erschien in der Mai-Ausgabe 2023 von 36 km – Magazin für die Limmatstadt.