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Die Limmat wird zur Oase für alle

Markus Federer ist Leiter des Projekts «Lebendige Limmat». Foto: Severin Bigler

Das Revitalisierungsprojekt «Lebendige Limmat» ist gestartet. Eine Velofahrt entlang dem Ufer mit Projektleiter Markus Federer.

Text: Robin Schwarz, Fotos: Severin Bigler

Viele Enten und Schwäne tummeln sich am Limmatufer direkt bei der Dietiker Nötzliwiese und schnattern laut. Ein leichter Sprühregen setzt ein. An der anderen Uferseite weht eine einsame Schweizer Fahne im zunehmenden Wind. Es ist ein grauer und nicht gänzlich angenehmer Nachmittag. Aber ihm, der da gerade mit dem Velo ankommt, macht das nichts aus: Markus Federer, Leiter des Projekts «Lebendige Limmat» beim Kanton Zürich. «Arbeitet man im Wasserbau, ist man oft draussen», sagt er. Federer ist mit seinem Team dafür zuständig, dass die Limmat auf einer Strecke von rund drei Kilometern zwischen Schlieren, Oberengstringen und Unterengstringen renaturiert wird, das heisst: in ihren natürlichen Zustand – so weit das geht – zurückversetzt wird.

Aus der Vergangenheit lernen

Denn vor über 100 Jahren wurde die Limmat kanalisiert und begradigt – eine «Korrektur». Die damalige Idee: Gewinnung von Land und besserer Schutz vor Hochwasser. In der Zwischenzeit haben wir dazugelernt. Auch unser Verhältnis zur Natur hat sich verändert. Schien uns die Natur – ob in Form von Berggegenden oder Flussgebieten – früher als gefährliche Widersacherin, wurde sie mit ihrer Zähmung über die Jahrzehnte langsam zu einem Sehnsuchtsort. Ein Tribut, den die Einebnung forderte: Die Biodiversität hat massiv abgenommen. «Hier muss man unseren Vorgängern aber keinen Vorwurf machen», sagt Federer, «wie auch wir haben sie damals nach bestem Wissen und Gewissen gehandelt.»

Lebendiger Ort für Natur und Mensch

Nun soll die einstige «Korrektur» korrigiert und die Limmat revitalisiert werden. Die Ziele: Heimat und Schutz schaffen für Fauna und Flora. Und den Menschen im Limmattal, einer der am dichtesten besiedelten Regionen der Schweiz, ein Naherholungsgebiet schenken, eine «Oase», wie es Federer formuliert. Kostenpunkt: 70 Millionen Franken. Das Projekt «Lebendige Limmat» ist Teil der Umsetzung des Gegenvorschlags zur Initiative «Lebendiges Wasser», die den Gewässerschutz ausbauen soll.

So könnte es im Bereich Zelgli gegenüber vom Kloster Fahr in Zukunft aussehen. Visualisierung: AWEL/Nightnurse Images AG

Markus Federer fährt mit dem Velo weiter entlang dem linken Limmatufer in Richtung Schlieren und erklärt die verschiedenen Flussabschnitte, deutet mal hierhin, mal dorthin, mal zu Pflanzen, mal zu Uferbefestigungen. Zum Beispiel den Eisvogel könne man hier hin und wieder beobachten, wenn er aus einem anderen revitalisierten Gebiet hierherfliege. Aber der Vogel hat es nicht leicht. Er zählt offiziell zu den «verletzlichen» Vogelarten, da ihm der Lebensraum zunehmend fehlt. Mit dem Projekt wird sich das ändern. Dann findet er auch hier wieder Platz zum Nisten und Brüten. «Manchmal sieht man ihn auf Ästen direkt über dem Fluss, von dort aus stürzt er sich wie ein Pfeil ins Wasser, um zu fischen», sagt Federer. Er ist sichtlich begeistert, schickt nach dem Termin gar zwei Bilder, die er einst selbst beim Spaziergang gemacht hat. Immer sehe man ihn aber nicht, man brauche schon Glück. Das Glück scheint dem Reporter und Federer nicht hold.

Schrebergärten müssen weichen

Ein wenig später stoppt Markus Federer wieder. Das hier ist das Herzstück des Projekts: das Betschenrohr-Areal. Dort wird die Limmat am meisten verbreitert. «Wir geben der Limmat Land zurück», sagt er. Doch wo gegeben wird, muss auch genommen werden. Es sind vor allem die Städte Schlieren und Zürich, das Kloster Fahr und die Gemeinde Unterengstringen, die für das Projekt Land abtreten. Unter anderem sind dies landwirtschaftlich genutzte Flächen und rund die Hälfte der Fläche der Schrebergärten im Betschenrohr. Weichen müssten zirka 190 von insgesamt rund 380 Schrebergärten. Das Land gehört der Stadt Schlieren, die Gärtner sind Pächter.

Markus Federer im Auenpark Werdhölzli. Die Limmat wurde hier bereits revitalisiert, wenn auch in kleinerem Umfang als beim geplanten Projekt flussabwärts.

Beim Familiengartenverein Betschenrohr formiert sich Widerstand. Sie fordern eine Reduktion des Projekts. Mitte April überreichten die Pächterinnen und hter eine Petition mit über 4000 Unterschriften zum Erhalt aller Schrebergärten an den Schlieremer Stadtpräsidenten Markus Bärtschiger. Eine Reduktion macht aber für Federer keinen Sinn: «Die Limmat braucht diesen Platz, damit sie zum Hotspot der Biodiversität werden kann, der sie einst war.» Gegner des Projekts deuten auf einen Limmatteil ein bisschen weiter nördlich, der bereits in kleinem Masse renaturiert wurde. Federer entgegnet: «Das reicht nicht, das Potenzial für Natur und Mensch ist hier viel grösser und sollte unbedingt genutzt werden.» Auch könne man das Projekt so nicht an anderen Stellen realisieren, etwa wegen des Einflusses von Kraftwerken oder Industriearealen, die nicht verschoben werden können.


«Die Renaturierung geht auf die Herausforderungen des Klimawandels ein.»


Im Bewusstsein, dass es für einzelne Pächterinnen und Pächter schmerzhaft ist, ihren lieb gewonnenen Garten aufzugeben, arbeitet die Stadt Schlieren an einem neuen Konzept für ihre Gartenareale. Ziel ist es, die verbleibende Fläche so zu organisieren, dass möglichst alle, die weiter gärtnern wollen, dies auch können. «Mir ist bewusst, dass diese Veränderung für die Pächter einschneidend ist, aber», ist Markus Federer überzeugt, «die Renaturierung dient einer grösseren Allgemeinheit. So geht die Revitalisierung auch auf die Herausforderungen des Klimawandels ein.» Die vielfältigere Limmatlandschaft und das natürliche und somit weniger ebene Flussbett böten Wassertieren im Falle von Hitze und Trockenheit mehr Schutz. Gleichzeitig könne die revitalisierte Limmat auch extreme Hochwasser besser auffangen.

Profitieren von der «Lebendigen Limmat» können auch die Menschen. Geplant sind Spazier- und Velowege, Rasenstufen vom Ufer ans Wasser, Spielmöglichkeiten sowie bessere Zugänge und Badestellen direkt an der Limmat. An verschiedenen Naturbeobachtungsposten können Interessierte innehalten. Federer tritt den Rückweg an, die Kapuze wird über den Kopf gezogen, kalter Regen setzt ein, der Kiesweg knirscht unter den Velopneus. Plötzlich schwirrt über dem Wasser etwas Blaues, es schiesst pfeilgerade auf die Pflanzen am Uferrand zu. Federer, begeistert: «Da ist er, der Eisvogel! Sehen Sie?»


Der Text erschien in der Mai-Ausgabe 2023 von 36 km – Magazin für die Limmatstadt.