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Mehr als eine Ruhestätte

In Bergdietikon führt der Schulweg über den Friedhof.

Trostlos, verlassen, unheimlich – von wegen! Friedhöfe sind grüne Oasen und Orte für Begegnungen. Es wird Zeit, diese besonderen Räume neu zu denken. Das zeigen auch Friedhöfe in der Region.

Text: Ursula Huber, Fotos: Andi Speck

Friedhöfe sind lebendige Orte. Eine Knospe hier, eine Blume dort: Zwischen Grabsteinen und knirschenden Kieswegen fällt das Grün besonders auf. Mancherorts summt ein ganzes Bienenvolk, und auf von der Sonne gewärmten Gräbern halten Katzen ihren Mittagsschlaf. Natürlich begegnet man hier auch vielen Menschen; man grüsst sich mit gedämpfter Stimme, hält auf einer Sitzbank spontan einen Schwatz. Ganz sorgfältig, man weiss ja nicht, wie es der anderen Person geht.

Trostgemeinschaft im Bus

Für viele Hinterbliebene ist der Friedhof als Trauerort zentral. Sie besuchen ihn regelmässig, bringen frische Blumen und halten vielleicht still Zwiesprache. Eine Gruppe Neuenhofer Seniorinnen und Senioren macht das jeden Freitag gemeinsam. Der Friedhof Papprich in Neuenhof liegt etwas oberhalb des Dorfes am Hang mit einer tollen Aussicht übers Limmattal. Wer jedoch nicht gut zu Fuss ist, für den wirds beschwerlich.

Das Friedhof-Taxi in Neuenhof chauffiert Hinterbliebene, die nicht gut zu Fuss sind.

Deswegen hat sich die Gemeinde etwas Besonderes einfallen lassen: Jeden Freitagnachmittag fährt ein kleiner Bus kostenlos vom Dorf hoch zum Friedhof. An vier Haltestellen können Passagiere zusteigen, und sogar individuelle Einstiegsorte können vereinbart werden. Acht Fahrgäste stehen aktuell auf der Liste von Werkhof-Gruppenleiter Max Caironi. «Es sind Stammgäste, die sich kennen. Sie informieren auch den Fahrer, falls Rösli nächstes Mal nicht mitfährt», sagt Max Caironi. Trotz der nur rund fünfminütigen Fahrt sei die Stimmung immer spürbar: «Wenn der Verlust noch frisch und ein Fahrgast traurig ist, spendet die Gruppe Trost.»

Friedhöfe im Wandel

Doch nicht nur Trauernde treffen sich auf dem Friedhof. Auf dem Badener Friedhof Liebenfels besuchten Kulturinteressierte diesen Winter eine Theateraufführung, und auf dem Wettinger Friedhof Brunnenwiese ziehen neuerdings verschiedenste Kunstwerke und Skulpturen Spaziergängerinnen an. Denn Friedhöfe befinden sich im Wandel. Erdbestattungen gehen zurück, Urnenbestattungen und Beisetzungen in Gemeinschaftsgräbern nehmen zu. Weil diese weniger Platz benötigen, werden Flächen frei. Was tun mit diesen sogenannten Friedhofsüberhangflächen? Die Idee, Friedhöfe auch als Begegnungs- und Erholungsorte zu nutzen, liegt nah. Und sie ist nicht neu. Bereits im 19. Jahrhundert entstanden Parkfriedhöfe nach dem Vorbild der Englischen Landschaftsgärten.

Erdbestattungen gehen zurück, Urnenbestattungen nehmen zu. Friedhöfe müssen deshalb neu gestaltet werden.

Grün, grüner, Grab

So gepflegt wie ein Englischer Garten sind auch manche Gräber. Bitte nur gelbe Stiefmütterchen mit Augen – oder doch lieber ohne. Manche wollen auf keinen Fall Fuchsien, andere mögen Petunien nicht. Die individuellen Wünsche bezüglich Grabbepflanzung nehmen laut André Fellmann zu. Er ist Geschäftsführer der Graf Gartenbau AG, die seit mehr als 50 Jahren den Friedhof in Urdorf betreut. Grabbepflanzung und -pflege gehören zu seinen Spezialgebieten. Die Gräber erhalten jedes Jahr Mitte Mai und Ende Oktober eine neue Bepflanzung. «Es gibt Angehörige, die sich sehr stark mit einem Grab identifizieren und grossen Wert auf die Bepflanzung legen. Andere sind dankbar, wenn wir uns darum kümmern», weiss André Fellmann.

Nur gelbe Stiefmütterchen mit Augen? Die Wünsche bezüglich Grabbepflanzung sind sehr individuell.

Über den Friedhof zur Schule

Ob auf dem einzelnen Grab oder dem ganzen Friedhof: Der Wandel ist überall spürbar. Weil sich immer mehr Menschen anders bestatten lassen wollen, führt das auch dazu, dass Friedhöfe neu gestaltet werden müssen. Eine Umgestaltung des Bergdietiker Friedhofs ist zum Beispiel auf die nächsten zwei Jahrzehnte geplant. Ein Kuriosum: Die Gemeinde musste hier schon ein Lärmproblem lösen. Der Autolärm von der angrenzenden Kantonsstrasse hat gerade bei Abdankungen immer wieder gestört. Im Zuge der Sanierung der Kantonsstrasse ist dort eine Lärmschutzwand erstellt worden. Nun herrscht wieder Ruhe auf dem Friedhof. Auch gestalterische Massnahmen sind bereits umgesetzt worden. Der Weg über den Friedhof ist verbreitert worden, weil Schülerinnen und Schüler hier entlang zur Schule gehen. Wer sich umschaut, entdeckt eine Weiheranlage auf dem Friedhofsplatz, einen Brunnen sowie etliche Sitzbänke und Bäume. So wird die letzte Ruhestätte auch zu einer schönen Begegnungsstätte


Der Text erschien in der Mai-Ausgabe 2022 von 36 km – Magazin für die Limmatstadt.