Ist die Limmat die pulsierende Ader der Region, so ist der Wald ihr ruhiger Atem. Wie eine grüne Klammer fassen zusammenhängende Waldgebiete auf beiden Seiten der Limmat das Tal ein. Diese dienen der lokalen Bevölkerung nicht nur zur Naherholung, sondern sind auch Lebensraum von zahlreichen Tieren und Pflanzen.
Text: Jasmin Vogel, Fotos: Sabrina Golob
Wer im Wald dem Zwitschern der Vögel lauscht, den Blick durch das dicke Grün schweifen lässt und hört, wie bei jedem Schritt Kiesel unter den Sohlen knirschen, merkt es schnell: Es tut einfach gut, Zeit im Wald zu verbringen. Dessen positive Wirkung auf unser Wohlbefinden ist wissenschaftlich bewiesen. Kein Wunder also, dass ihn immer mehr Menschen als Freizeitraum für sich entdecken. Sei es für die tägliche Joggingrunde, eine Geburtstagsfeier an der nächsten Feuerstelle, zum Vögel beobachten oder Pilze sammeln.
Laufend entstehen neue Nutzungsformen. Aktuell erfreut sich das «Waldbaden» grosser Beliebtheit. Bei dieser Achtsamkeitsübung aus Japan geht es darum, mit allen Sinnen in den Wald einzutauchen und die Umgebung bewusst wahrzunehmen. Wie andere Formen der Meditation dient die Übung dazu, sich zu entspannen und Stress vorzubeugen.
Ein Schatz der Natur
Auch wer keinen Fuss in den Wald setzt, profitiert von ihm. Im Sommer wird er zu einer kühlen Oase, da das Blätterdach der Bäume eine wärmedämmende Schicht bildet. Natürlich ist dieser Effekt im Wald selbst am besten spürbar, dank dem Luftaustausch wirkt er aber auch auf die Aussentemperaturen von Siedlungen in seiner Nähe ein. Ausserdem erfüllt er eine wichtige Rolle im Wasserkreislauf und dient als Wasserspeicher. Gerade am Hang beugt die Verwurzelung bei starken Regenfällen Erdrutschen vor und das gefallene Wasser wird nur langsam in Bäche und Flüsse abgegeben. Die Wasserqualität von im Wald entspringenden Quellen ist besonders hoch, weil dort nicht gedüngt und keine Pflanzenschutz - mittel eingesetzt werden. Wasserschutzzonen stellen sicher, dass uns dieses wertvolle Gut erhalten bleibt.
Wem gehört der Wald?
Dass wir uns einfach so im nächsten Waldgebiet erholen gehen können, sehen wir als selbstverständlich. Aber warum eigentlich? Schliesslich gehören die Waldgebiete im Limmattal Holzkorporationen und Ortsbürgergemeinden oder befinden sich im Besitz von Gemeinden, Kanton, Bund oder Privaten. Ganz gleich, wem der Wald gehört – er oder sie ist verpflichtet, den Wald der Öffentlichkeit zugänglich zu halten und ihn nach gesetzlichen, behördlichen und wissenschaftlichen Vorgaben zu bewirtschaften. Es ist also ein Dienst an der Allgemeinheit, den sie leisten. Denn reich wird man mit der Bewirtschaftung des Waldes schon seit Jahrzehnten nicht mehr. Zu tief sind die Holzpreise und seine Nutzung hat sich stark in Richtung Pflege, Schutz und Erholung verschoben.
Die richtige Balance
In der Stadt Dietikon ist es Felix Holenstein, der die unterschiedlichen Bedürfnisse aller Nutzerinnen und Nutzer des Waldes zusammenbringt. Seit über 25 Jahren ist er Revierförster im Dietiker Wald. «Die Wahrnehmung und die Nutzung des Waldes verändert sich rasant», berichtet er. «Vor weniger als 50 Jahren stand noch die Holznutzung im Vordergrund. Während dem Krieg musste die Bevölkerung aus der Not sogar zusätzlich zu den Ästen auch Wurzeln als Brennholz ausgraben. Jetzt sehen die Menschen viel mehr sein Potenzial als Naherholungsraum. Der Wald wird immer attraktiver. Seit etwa 15 Jahren beispielsweise werden auch Baugrundstücke am Wald immer beliebter, Natur und Mensch rücken zusammen. Das ist toll, bietet aber auch Konfliktpotenzial.» Je mehr Menschen sich im Wald bewegen, umso wichtiger wird beispielsweise der Sicherheitsaspekt. Bäume oder Äste, die auf einen Spaziergänger oder eine Joggerin fallen könnten, müssen entfernt werden.
Die richtige Balance zwischen den Anforderungen, die Menschen, Tiere und Pflanzen an den Wald haben, ist zentral. Etwa alle zwei Wochen erhält Felix Holenstein eine neue Anfrage für die eine oder andere Art der Waldnutzung im von ihm verwalteten Gebiet: Waldspielgruppen, Kurse zum Waldbaden, Waldyoga und mehr. «Die Begeisterung für den Wald war noch nie so gross wie jetzt», freut er sich. Trotzdem muss er viele Anfragen ablehnen, damit der Wald nicht vom Menschen überbelastet wird. Unterschiedlich bewirtschaftete Zonen sorgen dafür, dass alle auf ihre Kosten kommen. Während viele Wege für die Nutzung durch den Menschen gepflegt werden, werden grössere Flächen wieder der Natur überlassen. Totholzinseln bieten anderen Pflanzen und Tieren einen Lebensraum, und das «Allmendli», einekünstlich wiedergeschaffene Lichtung mit vielen Erlen, gibt denjenigen Pflanzen Raum, die mehr Licht benötige.
Blick in die Zukunft
Der Wald steht vermehrt unter Druck. Invasive Neophyten, als Zierstrauch im Garten gepflanzt oder als Samen beim Transport in die Böschung gefallen, fühlen sich in unseren Wäldern wohl, nehmen den heimischen Pflanzen das Licht und gefährden so die Biodiversität. Ein eingeschleppter Pilz hat innert kürzester Zeit fast den ganzen Eschenbestand ausradiert, obwohl gerade diese Baumart sich in den Limmattaler Böden besonders wohlfühlt.
Auch Fichten und Buchen leiden – die vermehrten Trockenperioden und heissen Sommer machen ihnen zu schaffen. «Im Gegensatz zu den Fichten ist bei den Buchen die genetische Vielfalt gross», erklärt der Revierförster. «Wir haben die Hoffnung, dass sich die anpassungsfähigeren Exemplare durchsetzen und beispielsweise tiefer wurzeln. Bei der Verjüngung des Waldes setzen wir auf mehr naturnahe Artenvielfalt, damit er resistenter wird. Und wir setzen grosse Hoffnungen auf die Eichen, die um einiges hitzeresistenter sind als beispielsweise Buchen.» Der Limmattaler Wald der Zukunft wird weniger alt und natürlicher werden und aus mehr Laubbäumen bestehen, so seine Prognose.
Natur ins Quartier bringen
Eine zukunftsgerichtete Grünstrategie bringt die Vorteile des Waldes in die Siedlung – und entlastet somit auch die Waldgebiete. «Die grün-blaue Infrastruktur zählt zu den Infrastrukturen der Zukunft», ist Dunja Kovári-Binggeli überzeugt. Die Mitinhaberin von sa_partners, einer Agentur für Städtebau und Planung, kennt sich als ehemalige Planerin von Baden Regio bestens im Limmattal aus. Sie sieht eine grosse Chance darin, mit kleineren und grösseren Querspangen als attraktive Zufuhrsysteme den Wald mit den Quartieren zu verbinden.
Besonders geeignet dafür sind bestehende Bachläufe, die vermehrt von Grün gesäumt werden könnten, und die Bildung von sogenannten Tiny Forests – Kleinstwäldern – im Siedlungsgebiet. Gerade der Schatten von Bäumen mit grosser Krone kühlt die angrenzende Umgebung merklich. So wurden beispielsweise unter Bäumen beim Stadtzürcher Sechseläutenplatz Temperaturen von 26 Grad gemessen, während die Anzeige des Thermometers an versiegelten und sonnigen Stellen dieser Hitzeinsel auf stattliche 51 Grad kletterte. Zusammenhängende Grünflächen ab einer Grösse von einer Hektare sind nachweislich besonders wirkungsvoll.
Mensch und Natur rücken immer näher zusammen, auch im Limmattal. Der Wald bleibt ein unverzichtbarer Bestandteil unserer Umwelt und unserer Zukunft und es ist an uns, mit nachhaltiger Planung, Pflege und Bewirtschaftung ein harmonisches Zusammen sicherzustellen.
Zahlen & Fakten zu Limmattalwald
- Rund 35 % beträgt der Waldanteil auf der Gemeindefläche der Limmattaler Gemeinden
- Gletschermoränen prägen den Waldboden, was vielfältige Strukturen bietet – ideal für Eichen und Eschen
- 80 bis 100 Jahre beträgt der Planungshorizont bei der Waldpflege und Bewirtschaftung
- Holzkorporationen, Bürgergemeinden, Gemeinden, Kanton, Bund und Private besitzen Waldgebiete im Limmattal
- Die meisten Wälder im Limmattal sind FSC-zertifiziert