Titelbild des Artikel: Wir sollten über das Ausländerstimmrecht diskutieren!

Wir sollten über das Ausländerstimmrecht diskutieren!

Illustration: SGB, Motiv Frauen*streik 2019, Agnes Weber

Noch sind Frauen in der Politik nicht angemessen vertreten. Trotzdem ist es Zeit für den nächsten Schritt in Richtung Gleichberechtigung.

Text: Helene Arnet, Foto: Doris Fanconi

Marianne Landolt war 30 Jahre alt, als die Schweizer am 7. Februar 1971 ihr und den anderen Frauen das Stimmrecht gewährten. Sie war frisch verheiratet, bald Mutter eines Kindes und eben erst mit ihrem Mann nach Dietikon gezogen. 23 Jahre später, 1994, wurde sie zur Stadträtin von Dietikon gewählt. Sie war die einzige Frau in diesem Gremium – und erst die Dritte überhaupt, die in die Exekutive der grössten Limmattaler Gemeinde gewählt wurde. Es dauerte also lange, sehr lange, bis Frauen nicht nur abstimmen und wählen durften, sondern auch für wichtige Ämter gewählt wurden – oder sich wählen liessen. Marianne Landolt wurde zuerst Mitglied der Schulpflege und engagierte sich dann in jener Bewegung, die 1991 im Frauenstreik gipfelte. Sie musste sich einen grossen Ruck geben, als die CVP sie anfragte, ob sie sich als Kandidatin für den Stadtrat zur Verfügung stellen würde.

Ein grosser Schritt in Richtung Gleichberechtigung

Es war also nicht so, dass sich nach der Einführung des Frauenstimmrechts alle Schleusen öffneten und die Frauen die Politik im Lande massgebend mitbestimmten. Sie mussten sich zuerst trauen. Es sich zutrauen. Und Mann musste lernen, ihnen zu vertrauen. Dieser Prozess, der vor 50 Jahren gestartet wurde, hält heute noch an. Für die politische Gleichberechtigung war das zweifellos ein grosser Schritt, aber nicht der Zieleinlauf. Denn noch immer ist ein erheblicher Teil unserer Bevölkerung nicht stimm- und wahlberechtigt: Menschen ohne Schweizer Pass. Selbst wenn sie seit vielen Jahren hier leben, hier Steuern zahlen, unsere Sprache sprechen.

Mitbestimmung auch ohne Schweizer Pass

Die Gegner des Frauenstimmrechts argumentierten früher damit, dass nur wer Wehrdienst leiste, auch politisch mitbestimmen dürfe. Was für ein Zirkelschluss, war es doch den Frauen lange Zeit gar nicht möglich, ins Militär einzutreten! Da ist es doch sehr viel einleuchtender, das politische Mitbestimmungsrecht an den Schweizer Pass zu knüpfen ... Wirklich? Es gibt durchaus Gründe, weshalb jemand nicht Schweizer oder Schweizerin werden kann oder will. Dass jemand deswegen aber in der Gemeinde nicht mitbestimmen darf, ob ein neues Schulhaus oder Altersheim gebaut wird, ob der Steuerfuss gesenkt oder angehoben werden soll, das leuchtet nicht ein. Manche Kirchgemeinden sind bereits zu diesem Schluss gekommen. Auch die Einführung des Ausländerstimmrechts würde nicht dazu führen, dass die politischen Ämter von Ausländerinnen und Ausländern überschwemmt würden. Auch sie müssten sich zuerst trauen. Es sich zutrauen. Und Herr und Frau Schweizer müssten lernen, ihnen zu vertrauen. Sie würden sich erst in der Schulpflege und in Parteien engagieren. Dann, vielleicht in 20 Jahren, würde ein Mann oder eine Frau ohne Schweizer Pass in den Stadtrat oder Gemeinderat gewählt. Einfach weil er oder sie hier daheim ist.


Der Text erschien in der Mai-Ausgabe 2021 des «36 km» - das Magazin für die Limmatstadt!

Bild von Helene Arnet

Helene Arnet

Helene Arnet ist promovierte Historikerin und Journalistin. Seit 2001 arbeitet sie beim «Tages-Anzeiger». Sie ist in Schlieren aufgewachsen und lebt mit ihrem Mann und Sohn in Dietikon.

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Helene Arnet

Helene Arnet ist promovierte Historikerin und Journalistin. Seit 2001 arbeitet sie beim «Tages-Anzeiger». Sie ist in Schlieren aufgewachsen und lebt mit ihrem Mann und Sohn in Dietikon.